Zukünftige Skills im Vertriebs-Management

Im Gespräch mit Prof. Dr. Christian Schmitz – Ruhr-Universität Bochum and Christian Peters Batenborch Germany

Christian Schmitz

Zukünftige Skills im Vertriebs-Management

CP: Martin Schäfer, damals Geschäftsführer Vertrieb bei Würth sagte einmal in einem Vortrag: „Gute Außendienstmitarbeiter bekommt man ohne Probleme. Gute Vertriebsführungskräfte dafür umso weniger.“ Wie würdest Du diese Aussage interpretieren?

CS: Für viele Firmen ist es schon schwierig genug, gute oder sogar sehr gute Verkäufer zu bekommen. Es mag sein, dass ein Unternehmen wie Würth überdurchschnittlich viele gute Verkäufer bekommt. Für den Großteil der Unternehmen ist es hingegen eine Herausforderung, gute Vertriebler für sich zu gewinnen. Das hängt natürlich auch mit der Komplexität der Produkte und Kunden zusammen.

Wo ich Herrn Schäfer uneingeschränkt Recht gebe ist, dass für die Mehrheit der Unternehmen sehr schwierig ist, Führungspositionen im Vertrieb schnell mit den richtigen Personen zu besetzen.

Das hat verschiedene Gründe. Einer der Hauptgründe ist, dass die meisten Vertriebsmitarbeiter, die ihr Handwerk im Verkauf on-the-job lernen und später in eine Führungsposition befördert werden, viel zu wenig zielgerichtet ausgebildet sind bzw. wenig auf die Führungsrolle vorbereitet werden. Sie haben die operative Vertriebs-DNA im Blut und müssen von jetzt auf gleich Führung übernehmen. Und dazu gehört eben auch Planung, Coachingzeit mit Mitarbeitern sowie (manchmal leider) viel Zeit mit internen Gremien.

CP: Christian, Ihr seid mit dem Sales Management Department an der Ruhruniversität Bochum spezialisiert u.a. auf Sales Management. Was ist für Dich eine gute Vertriebs-Führungskraft?

CS: Die Besonderheiten von Führungskräften im Vertrieb sind, dass sie eben nicht nur in der Regel ihr Team kennen, weiterentwickeln und coachen müssen. Darüber hinaus haben Sie eine Verantwortung gegenüber Kunden, sie müssen ihre Märkte kennen und verstehen. Und schließlich müssen gute Vertriebsmanager ihr Vertriebsteam innerhalb der Firma richtig positionieren können. Zusammenfassend muss eine Führungskraft im Vertrieb mind. drei Hüte aufhaben:

1. den Kundenhut, 2. den Hut für ihr Team, 3. den Hut für das Unternehmen, d.h. ihr Vertriebsteam gegenüber und innerhalb der Firma zu vertreten.

CP: Also das Team auch intern zu verteidigen?

CS: Auch zu verteidigen. Aber in erster Linie, die Ziele, die das Unternehmen hat, auch an das Team weiterzugeben und die richtigen Maßnahmen individuell auf jedes Team-Mitglied herunterzubrechen bzw. abzuleiten. Es ist eine Leichtes, die Unternehmensziele 1zu1 an die Vertriebler weiterzugeben nach dem Motto: „Jetzt mach mal“. Viel spannender und herausfordernder wird es, die Ziele in Aktivitäten zu übersetzen und dementsprechend mit Kennzahlen (KPIs) messbar zu machen. In diesem Fall bildet eine gute Führungskraft eine Verbindung zwischen dem Unternehmen als übergeordnete Instanz und dem einzelnen Vertriebsmitarbeiter.

Ein Szenario, welches wir immer wieder in Unternehmen feststellen ist, dass die Zeiteinteilung und Ressourcenverwendung der Führungskräfte im Ungleichgewicht ist. Das bedeutet, dass die meisten Führungskräfte insbesondere im Vertrieb zwei Drittel ihrer Zeit eher mit der Bearbeitung eigener Kunden oder aber administrativen Dingen verbringen und nur ein Drittel für ihre eigentliche Führungsfunktion (Coaching, Mitarbeitergespräche, Personalentwicklung) aufbringen.

„Auch hartgesottene Scrum- und Kanban-Anwender haben erkannt, dass sich agiles Arbeiten und agile Führung nicht mit der Brechstange herbeiführen lassen.“

Prof. Dr. Christian Schmitz – Ruhr-Universität Bochum

CP: Welche Erfahrungen, Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale zeichnen heute eine gute Vertriebsführungskraft im Vergleich zu denen von vor 20 Jahren aus?

CS: Oh, das ist eine sehr schwierige Frage. Deswegen schwierig zu beantworten, weil es in Marketing und Vertrieb die unterschiedlichsten Aufgaben- und Verantwortungsbereiche gibt, die ausgefüllt werden müssen. Somit sind die Kompetenzanforderungen sehr unterschiedlich.

Wenn man sehr allgemeine Fähigkeiten nimmt, dann werden in erster Linie damals wie heute immer wieder Skills wie Kommunikationsfähigkeit, Extrovertiertheit und der Umgang mit Menschen genannt. Ich sehe das eher kritisch, denn diese Merkmale stellen nicht unbedingt die Fähigkeiten eines Vertrieblers heraus. Auch ein guter Service-Mitarbeiter wird gut mit Menschen umgehen können oder sogar müssen.

Ein guter Logistiker, der viel mit der Abstimmung interner Prozesse zu tun hat, sollte ebenfalls gut im Umgang mit Menschen sein. Genauso wie Controller, Einkäufer und viele andere Mitarbeiter im Unternehmen.

Ich habe vielmehr den Eindruck, dass der Vertrieb zunehmend mit folgenden Phänomenen konfrontiert wird:

Erstens, die analytische Fähigkeit zu besitzen, den Bedarf des Kunden einzuschätzen und zu verstehen, welches Potenzial der Kunde für welche Produktgruppen hat. Auch diese Fähigkeit scheint mir zunehmend wichtiger. Denn in den meisten Märkten ist es mittlerweile so, dass Kunden sehr reaktant sind für produktbetriebene Ansätze. D.h. sie wollen alle genau bei Ihren Problemen und Bedarfen angesprochen werden.

Zweitens, wir haben eine höhere Komplexität in den Produkten, Lösungen und Leistungen. Alleine die zu überblicken und zu verstehen und auch zu verstehen, wie diese sich übersetzen lassen in den Nutzen für den Kunden, das wird eine extrem wichtige Fähigkeit sein, die aber auch zunehmend schwieriger wird.

Drittens, eine Fähigkeit, die im Vertrieb eigentlich schon immer in jedem Verkäufer ausgebildet sein sollte, ist Resilienz und Hartnäckigkeit. Das heißt auch eine Toleranz zu haben gegenüber Versagen und Fehlern, die man zwangsläufig im Vertrieb macht, gegenüber ablehnenden Entscheidungen von Kunden. Und trotzdem wieder “aufzustehen” und den Kunden erneut anzusprechen. In zwei Wörtern: eine psychische Robustheit. Das scheint mit ebenfalls ein wichtiges Merkmal zu sein, welches man im Verkauf in der Zusammenarbeit mit dem Kunden braucht.

CP: Jetzt sprechen wir ja über Ansprachekonzepte des Vertriebs und wie ich einen Kunden als Verkäufer bestmöglich betreue. Inwiefern ist die Führungskraft gefordert, die sich ändernden Marktbedingungen und Kundenstrukturen in ihrer Führung zu berücksichtigen, wenn es bspw. um Lösungsverkauf, komplexe Märkte, Preisverteidigung, etc. geht?

CS: Die Führungskraft von damals hat sein Vertriebsteam eher transaktional geführt. D.h. sie haben ihren Mitarbeitern sehr kleinteilig und kleinschrittig vorgegeben, was sie zu tun haben und sich oft in kleinteiligen Prozessschritten verloren.

Die Führungskraft von heute, bedingt durch komplexe Märkte, Organisationen und Kundenstrukturen, fokussiert sich zunehmend darauf, die intrinsische Motivation ihrer Mitarbeiter zu erhöhen, das eigene Team mitzunehmen und ihnen viel stärker die größeren Ziele des Unternehmens für sich anzunehmen. Die Führungskraft von heute fördert und fordert die volle Kreativität und Kenntnisse ihrer Mitarbeiter, um diese zur Lösung der Kundenprobleme einzusetzen.

Und da liegt der Unterschied. Nutze ich die individuelle Intelligenz jedes einzelnen in meiner Vertriebsmannschaft, um mit dem eigenen Know-how das Problem des Kunden bestmöglich zu lösen. Oder versuche ich den Mitarbeitern zu sagen, was das Richtige ist und sie dahin zu “prügeln” und das genau so zu tun, wie ich es will. Und dieser Weg funktioniert heutzutage in vielen Fällen und Organisationen nicht mehr.

„Ich höre sogar von einzelnen Unternehmen, die eine höhere Fluktuation verzeichnen, weil die Mitarbeiter sich nicht mehr persönlich treffen und extrem unter dieser Situation leiden.“

CP: Bereits vor Corona hat man von neuen Kompetenzen im Sales Management gesprochen wie bspw. „New Work“, Agile Leadership, VUCA, etc. Sind das alles Buzz-Words von Beratern und Trainingsanbietern oder ist da wirklich was dran?

CS: Ja und Nein. Stichworte wie “New Work” bspw. haben ja verschiedene Facetten. Einerseits beinhaltet es die Facette, dass heute zunehmend Anforderungen insbesondere der jüngeren Mitarbeiter an die Organisation gestellt werden. Wenn ich so an die Generation Y oder Z denke, dann sind das bspw. Forderungen nach u.a. neuen, flexiblen Arbeits(-zeit)modellen, mit denen Unternehmen konfrontiert werden.

Ein Beispiel: ein Bewerber um eine Vertriebsstelle, der im Vorstellungsgespräch schon sagt, dass er eigentlich gar kein Auto fahren will und ein Firmenwagen ihn gar nicht motiviert. Sondern dass es ihm wichtiger ist, jedes Jahr zwei Monate Sabbatical zu machen. Die Frage ist nun, wie ein Unternehmen damit umgeht? Wie stellt das Unternehmen die Prozesse darauf ab? Wie sehen Programme der Zukunft aus, um heutzutage immer größer werdende Mitarbeitergruppen – die mitunter aus High Performern bestehen – dauerhaft zu motivieren, sich für die Firma einzusetzen.

Gerade im Vertrieb sieht oder sah die Realität bis vor kurzem noch anders aus. Der Vertrieb kann bzw. konnte ja klassischerweise einen Großteil seiner Tätigkeit nicht aus dem Homeoffice heraus machen, sondern war/ist unterwegs. So dass vieles von diesem New Work – Ansatz, was man besonders stark bereits in anderen Unternehmensbereichen antreffen konnte, lange Zeit im Vertrieb undenkbar war.

Der Ansatz der agilen Führung ist spannend zu beobachten. Ein Change in diese Richtung mit einer neuen Managementtheorie kann aber auch suboptimal bis schädigend für eine Unternehmensorganisation sein. Das ist nämlich dann der Fall, wenn einige Bereiche oder Ebenen im Unternehmen noch nicht bereit für eine Veränderung sind. So gibt es Führungskräfte, die krampfhaft agiles Arbeiten einführen wollen, aber ihre Mitarbeiter nicht „mitnehmen“ können. Oder junge Mitarbeiter die traditionellen Führungsmethoden ihrer Führungskräfte nicht weiter akzeptieren wollen. Hier wiederum ist Fingerspitzengefühl und eine feine Sensorik der Führungskräfte gefragt: „was will mein Unternehmen, was wollen meine Mitarbeiter und was ist überhaupt in welcher Zeit realisierbar?“

Denn auch hartgesottene Scrum- und Kanban-Anwender haben erkannt, dass sich agiles Arbeiten und agile Führung nicht mit der Brechstange herbeiführen lassen. Ich rate den Unternehmen eher zu einer agileren als zu einer agilen Führung. Doch nicht jede Organisation muss agil werden, nicht jede Führungskraft zum Dienstleister und Kümmerer seiner Mitarbeiter.

„Das Vernetzen der Vertriebsmitarbeiter untereinander und die Sensibilisierung für Digitalisierung ist eine zentrale Aufgabe der Führungskraft. Der Manager von heute führt Teamplayer und keine Einzelkämpfer.“

CP: Durch Corona ändern sich die Anforderungen an die Kompetenzen der Sales Manager gewaltig. Unsere Mandanten achten zunehmen auf zusätzliche Skills wie bspw. „Führen auf Distanz“, Umgang und Etikette mit / in Videokonferenzen, Know-how Transfer und Coaching für neue Verkaufsstile (hier: Remote/Social Selling). Welche Entwicklungen beobachtest Du?

CS: Im März 2020 war mit einem Schlag alles anders. Keiner durfte mehr vor die Tür, Akquisegespräche haben nicht mehr beim Kunden vor Ort stattgefunden, Team-Meetings konnten nicht mehr persönlich in geschlossenen Räumen erfolgen.

Was darauf hin passierte, hat eigentlich uns alle erstaunt, wie schnell und wie groß der längst überfällige Schritt an Digitalisierung erfolgt ist. Und wie schnell selbst die eingefleischtesten Verfechter der persönlichen Meetings dann plötzlich sehr schnell auf Online-Formate – auch für interne Gespräche und Sitzungen – umgestiegen sind.

Das war zunächst eine sehr produktive Entwicklung, wie rasch sich in diesem Kontext ein Lernprozess vollzogen hat. Nun hat sich allerdings auch gezeigt, dass ein Meeting, welches online stattfindet, anderen Regeln unterliegt, als wir es von Präsenztreffen kennen. Dazu gehören einerseits natürlich auch die Fragen: was ist die Etikette und was sind die Spielregeln, an die sich möglichst alle halten sollten.

Beispiel: Kamera an vs. Kamera aus; welcher Hintergrund soll gezeigt werden; Mikrofon muten; in welcher Reihenfolge und wie lange wird Redezeit zur Verfügung gestellt, wenn nicht mal mehr alle Kacheln (hier: Gesichter der Teilnehmer) sichtbar sind.

So banal sich das anhört, aber die Anforderungen an die Führungskräfte ändern sich gewaltig, wenn sie sich soziale Regeln überlegen und definieren müssen und dafür Sorge zu tragen haben, dass diese auch von allen berücksichtigt werden. Denn eines ist sicher: nicht nur die Führungskräfte, sondern alle Beteiligten bekommen nur noch einen Bruchteil der Schwingungen und Stimmungen (auch die emotionalen) mit, wenn Kameras und Mikrofone ausgeschaltet sind. Das schließt die bereits bekannten Konventionen mit ein, wie bspw. Agenda vorab zur Verfügung stellen, Protokoll-Schreiber bestimmen, an die Pünktlichkeit aller appellieren, etc. Diese müssen dem entsprechend auf das Online-Format angepasst werden.

Eine weitere große Herausforderung wird sein, abzuschätzen, inwiefern zu klärende Dinge über Webmeetings angesprochen werden können / dürfen. Oder ob es dann weiterhin persönliche Telefonate, weil persönliche Nuancen und Schwingungen entweder unter “die Räder” geraten können oder auch missgedeutet werden können. Ich höre sogar von einzelnen Unternehmen, die eine höhere Fluktuation verzeichnen, weil die Mitarbeiter sich nicht mehr persönlich treffen und extrem unter dieser Situation leiden. Das, was die Firma vielleicht besonders ausgezeichnet hat, wie z.B. eine besondere Büroatmosphäre mit einem vertrauten Arbeitsklima, fällt mit einem Mal weg.

„Als Bewerber sollte man signalisieren, dass man im Vorfeld recherchiert hat. Das eröffnet mitunter ganz andere Gesprächsverläufe im Bewerbungsgespräch als Standard-Gespräche nach einem festgelegten Leitfaden.“

 

CP: Wie können Kompetenz-Lücken geschlossen werden und beiderseitiges Erwartungsmanagement (Kandidaten vs. Unternehmen) optimiert werden?

CS: Hier muss man zunächst unterscheiden zwischen dem reinen Handling der Technik bzw. der technischen Durchführung von Meetings und der eigentlichen Führung der Mitarbeiter in solchen Situationen. Der Umgang mit Technik lässt sich sehr gut über Trainings und Schulungen abbilden. Hierzu gibt es mittlerweile viele gute Tutorials und Hilfestellungen bspw. bei Youtube oder in Blogs von Trainingsanbietern und Coaches.

Die eigentliche Führungsaufgabe geht viel weiter, als bspw. die Frage, wie ich ein Online-Meeting führe. Sondern wie ich mich als Führungskraft schrittweise organisiere. Besonders wirkungsvoll – so erleben wir es in den Unternehmen, die wir betreuen – ist der gegenseitige Erfahrungsaustausch der Führungskräfte untereinander in organisierten Arbeitsgruppen zu allen Themen und Herausforderungen rund um das Thema Lock-Down, Home Office, Covid19 und die Auswirkungen auf die Mitarbeiter.

Bei uns an der Ruhruniversität Bochum haben wir bspw. das “Sales Innovation Lab” auf die Beine gestellt, wo wir gezielt zu Schlüsselthemen Führungskräfte verschiedener Themen an einen Tisch bzw. Corona-konform in einen Raum bringen, die sich gegenseitig aufschlauen.

Aber Hand aufs Herz. Erfolgreiches Arbeiten einer Führungskraft mit seinen Mitarbeitern – insbesondere im Vertrieb – steht und fällt auch mit der Bereitschaft jedes Einzelnen, sich auf notwendige Veränderungen einzulassen. Und hierbei ist zu betonen: eine Führungskraft kann noch so gut sein, wenn ein Mitarbeiter nicht mitzieht oder mitziehen will, ist das nicht der Führungskraft anzulasten.

CP: Auch wir bei Batenborch haben unsere Sichtweise auf die Kompetenzen potenzieller Kandidaten angepasst und achten bei der Auswahl auf ein zukunftsträchtiges Skill-Set. Was rätst Du Kandidaten, welche Skills zukünftig unverzichtbar sein werden und auf die sie sich – auch im Rahmen des Bewerbungsprozesses – vorbereiten und weiterbilden sollten?

CS: Führung auf Distanz war auch in der Vergangenheit eine wichtige Schlüsselkompetenz innerhalb der Führung des Vertriebs. Ob das jetzt per Telefon ist, oder über Skype, oder Webex, etc. spielt dabei keine Rolle. Die Außendienstmitarbeiter in der Vertriebsorganisation, die bekommt man in den seltensten Fällen zu einem gemeinsamen Meeting im Büro zusammen.

Denn eine über das Land verteilte Außendienst-Mannschaft ist in der Regel auf der Straße beim Kunden. Damals wie heute stimmt man sich telefonisch ab. Und auch damals wie heute ist das herauskristallisieren und die Wahrnehmung von Stimmungsnuancen ein wichtiger Bestandteil der Führungsaufgabe. Demnach also nichts Neues.

Was allerdings neu und auch viel wichtiger ist, ist die neue Rolle des zu führenden Verkäufers. Der Verkäufer arbeitet heute nicht mehr als Einzelkämpfer, sondern der arbeitet als ein Player in einem komplexen Netz mehrerer Player, die zum Teil auch aus unterschiedlichen Kanälen heraus mit den Kunden zusammenarbeiten. Der Kunde hat heutzutage in der Regel bereits verschiedene Kontaktpunkte gehabt, bevor er überhaupt das erste Mal mit dem Verkaufsaußendienst spricht. Durch Digitalisierung, soziale Netzwerke, neue Medien hat er höchstwahrscheinlich mit Hilfe seiner verschiedenen Devices (Smartphone, Tablet, Laptop, etc.) bereits online den Kontakt hergestellt. Vielleicht gab es bereits Kontakte mit dem Call-Center oder mit dem Innendienst. Das bedeutet, dass der klassische Verkäufer, hier: der Außendienstler, ist im Gesamtnetz der Kontaktpunkte nur noch einer.

Das bedeutet nun aber für die Führungskraft auch, dass sie ihre Vertriebsmitarbeiter in einer Art und Weise führen und unterstützen muss, diese Verknüpfungen in diesem digitalen Netzwerk herzustellen. Hier kommen Stichworte wie bspw. Digital Leadership oder Digital Enablement durch die Führungskraft zum Tragen, sich in der neuen Rolle als Teamplayer statt als Einzelkämpfer zurechtzufinden. In Abstimmung mit Personen aus unterschiedlichsten Abteilungen, das scheint mir eine sehr wichtige Führungskompetenz der heutigen Zeit zu sein.

„Bei den Stellenprofilen sollte man bei den dahinterliegenden Prozessen anfangen. … Vielfach werden Stellenprofile nach Schema F oder anhand einer Standard-Schablone erstellt.“

In diesem Kontext höre ich viele Beispiele aus allen möglichen Unternehmen, dass es sehr zentral von der Führungskraft abhängt, dass diese Vernetzung erfolgt. Ich habe kürzlich mit dem Vertriebsleiter einer sehr großen Maschinenbaufirma gesprochen, der sagte, er habe veranlasst, dass sich er und sein Marketingleiter direkt ins gleiche Büro setzen. Mit dem Ergebnis, dass Kundenbearbeitungsprozesse, Ansprachekonzepte, Kaufentscheidungsprozesse sowohl aus Sicht des Vertriebes als auch des Marketings kritisch hinterfragt werden. Diese Maßnahme bekommen auch die jeweiligen Teams aus Vertrieb und Marketing mit und auch die reden plötzlich mehr miteinander bzw. vernetzen sich.

Grundsätzlich rate ich jedem Kandidaten – und das ist aus meiner Sicht auch nichts Neues – sich vor jedem Bewerbungsgespräch genau über die Funktion, die Organisationsstruktur, die Kultur, die Kunden und Märkte zu informieren. Hier gibt es zahlreiche Quellen, die genutzt werden können. Man muss nicht alles im Detail wissen, aber zu signalisieren, dass man im Vorfeld recherchiert hat, eröffnet mitunter ganz andere Gesprächsverläufe im Bewerbungsgespräch als Standard-Gespräche nach einem festgelegten Leitfaden. Gezielte Weiterbildung ist sicherlich schwierig, da zeitaufwendig und kostenintensiv. Und man weiß ja auch nicht, ob es wirklich gebraucht wird. Allerdings kann es nicht schaden, sich allgemeine Kenntnisse anzueignen oder aufzufrischen, von denen man weiß, dass sie abgefordert werden. Wie z.B. auffrischende Vertriebsführungs-Skills. Diese gibt es mittlerweile ressourcenschonend in digitalen Formaten.

 

CP: Da wo es notwendig und wann immer sinnvoll und gewünscht, unterstützt Batenborch seine Mandanten bei der Ausarbeitung einer Kompetenz-Matrix. Was rätst Du HR-Abteilungen in diesem Kontext für das Recruiting von Vertriebsführungskräften in der Zukunft?

CS: Es geht ja tatsächlich nicht darum, alle Kompetenzen, die ein Kandidat besitzen muss, in die Stellenausschreibung zu schreiben. Damit sind jene Kompetenzen gemeint, die der Kandidat ohnehin mitbringt, wie z.B. “Rechnen – schreiben – lesen”. Die Frage ist ja, was die besonderen Anforderungen der Rolle sind, die auch besonderer Schlüssel-Kompetenzen bedürfen, die eine Führungskraft mitbringen muss. So banal es sich jetzt anhört, aber hier würde ich ganz klar anfangen beim Job selber – auch bezogen auf das individuelle Umfeld der Stelle.

Denn die Anforderungen an Vertriebsleiter A des Unternehmens X können komplett andere sein, als die an Vertriebsleiter B des Unternehmens Y. Und das obwohl beide Positionen auf gleicher Ebene in branchenähnlichen Unternehmen sind. Warum? Weil die Aufgaben im Verkauf und somit auch die Aufgaben in der Führung stark unterscheiden. Deswegen sollte man bei der Ausgestaltung eines Stellenprofils bei den einzelnen Aufgaben des Vertriebs und den dahinterliegenden Prozessen anfangen, daraus dann das Anforderungsprofil und die notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten bis hin zu Persönlichkeitsmerkmalen ableiten. Das ist eigentlich die klassische Vorgehensweise, allerdings erleben wir oft, dass bspw. ein Vertriebsleiter nach “Schema F” oder anhand einer Standard-Kompetenzschablone aus irgendeinem Lehrbuch gesucht wird, dabei aber die individuelle Rolle und Infrastruktur des Unternehmens nicht berücksichtigt werden.

Hierbei darf allerdings eines nicht vergessen werden. Es geht bei der Definition der Stellenbeschreibung – und auch das vernachlässigen viele Personalentscheider – nicht um den Status Quo, nach dem Motto: wen oder was brauchen wir heute? Sondern welche Aufgaben bzw. welche Rolle muss die Führungskraft in der Zukunft mit Blick auf sich ändernde Märkte, Produkte und Einkaufsverhalten ausfüllen.

CP: Was hältst Du von der Aussage „Je besser die Führungskraft, desto weniger wird sie gebraucht.“?

CS: Grundsätzlich mag ich diese Aussage, weil sie die Rolle der einzelnen Mitarbeiter stärkt. Warum wird die Führungskraft nicht gebraucht, wenn sie gut ist? Weil die Erwartungen klar sind, klar kommuniziert an die Mitarbeiter, die verstehen, worauf sie hinwirken. Das heißt ein gutes oder herausragendes Ergebnis wird auch dann erzielt, wenn die Führungskraft gar nicht da ist. Und aus meiner Sicht beschreibt das eine Art Idealzustand, den der Job der Führungskraft ist ja nicht – zumindest nicht aus meiner Sicht – die Mitarbeiter zu kontrollieren und eng zu führen. Sondern vielmehr Erwartungen in beide Richtungen zu klären, die Mitarbeiter für ihr tägliches Tun zu befähigen, den Erwartungen zu entsprechen. Bedeutet hier Hilfe zur Selbsthilfe zu gewährleisten, ihre Energie motiviert für die Ziele der Firma einzusetzen. Insofern würde ich diese Aussage sofort unterschreiben. In der Realität ist dieser Idealzustand natürlich nicht erreichbar. Denn man braucht immer Führungskräfte für den Kompetenzaufbau der Mitarbeiter. Und es wird auch immer Mitarbeiter geben, die eine engere Führung brauchen.

CP: Vielen Dank für Deine Zeit und das Interview!

 

 

Prof. Dr. Christian Schmitz ist Universitätsprofessor für Vertriebsmanagement und Lehrstuhlinhaber am Sales Management Department der Ruhr-Universität Bochum. Zuvor war er Leiter des Kompetenzzentrums “B2B-Marketing und Sales Management” am Institut für Marketing der Universität St. Gallen. Bis Anfang 2019 war er Hauptdozent für „B2B-Marketing und Sales“ an der Executive School der Universität St. Gallen tätig. Zudem war er Programmleiter der “Sales Driven Company”, einem Best Practice Konsortium der Universität St. Gallen.

Christian Schmitz ist ein führender Experte für Vertriebsthemen, mit der Bandbreite von Sales Management, persönlichem Verkauf und Business-to-Business Marketing. Im November 2018 erhielt Prof. Dr. Schmitz die Auszeichnung „Professor des Jahres“, in der Kategorie Wirtschaftswissenschaften/Jura, im bundesweiten Wettbewerb der UNICUM Stiftung.

 

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